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Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretungen

der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers


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Sind unsere Diakonie- und Sozialstationen noch zu retten?

Augenblicklich werden 161 Diakonie- und Sozialstationen in Niedersachsen in kirchlicher Trägerschaft betrieben. Damit ist unsere Landeskirche der größte Anbieter ambulanter Pflege im Land. Allerorten wird von einer desolaten wirtschaftlichen Situation der Sozialstationen und drohenden Schließungen gesprochen. Die Mitarbeitervertretungen unserer Landeskirche sind im Rahmen der Mitbestimmungstatbestände des Mitarbeitervertretungsgesetzes (MVG) in die Arbeit der Stationen einbezogen und müssen sich aus ihrer Gesamtverantwortung heraus auch dringend mit der Frage auseinandersetzen: Sind unsere Diakonie- und Sozialstationen noch zu retten?

Unsere Landeskirche führte eine Umfrage unter unseren Sozialstationen bezüglich der Finanzsituation in den Jahren 2001 und 2002 durch, an der sich immerhin 114 der 161 Stationen beteiligten. Ohne Zuschüsse fiel 2001 bei 71 %, 2002 bei 80 % das Finanzergebnis negativ aus. Unter Berücksichtigung geflossener Zuschüsse sah das Ergebnis etwas besser aus: 2001 hatten 43 %, 2002 53 % ein negatives Betriebsergebnis. Natürlich sind solche Zahlen der Selbstauskunft mit Vorsicht zu genießen und wären gegebenenfalls durch fachliche Analyse zu überprüfen. Deutlich wird aber, dass sich viele unserer Sozialstationen in einer äußerst angespannten Finanzlage befinden. Immerhin rechnen 32 % der Stationen mittelfristig mit einer Insolvenz. Diese dramatische Verschlechterung der Wirtschaftssituation unserer Sozialstationen ist mit Einführung der Pflegeversicherung und Umstellung der Finanzierung entstanden.

Vor Einführung der Pflegeversicherung konnten Diakonie- und Sozialstationen ihre erbrachten Leistungen mit den Krankenkassen abrechnen. Des weiteren gab es pauschale Zuweisungen durch die Landeskirche, welche erheblich höher lagen als zum jetzigen Zeitpunkt. Der Hauptanteil der Finanzierung wurde allerdings über die Kommunen und das Land Niedersachsen erbracht. Die Höhe dieser Finanzierungsanteile hingen von der jeweiligen konkreten Vertragsgestaltung ab. Im Regelfall wurden aber prozentuale Anteile der Gesamtausgabensumme getragen. Dabei war es durchaus üblich, dass Stadt, Landkreis und Land Niedersachsen 60 % oder mehr des Gesamtausgabenvolumens trugen. Zusammen mit den Geldmitteln der Landeskirche und den abrechenbaren Leistungen über die Krankenkassen musste man sich über die Wirtschaftslage der Stationen keine Gedanken machen.

Heute stellt sich die Situation deutlich dramatischer dar. Verträge über pauschale Kostenübernahmen existieren nicht mehr. Die entstehenden Kosten müssen fast ausschließlich durch die Refinanzierung der erbrachten Leistungen über Pflegeversicherung, Krankenversicherung, Sozialamt und Privatzahler gedeckt werden. Unsere Landeskirche gibt als diakonischen Beitrag nur noch einen Zuschuss zu den Personalkosten der 2003 bei etwa 3 % der Bruttopersonalkosten des Jahres 2001 liegt. Das Land bezuschusst die Leistungen der Stationen im Rahmen des Niedersächsischen Pflegegesetzes. Es hat allerdings diese Aufgabe gemäß § 15 NpflegeG den Landkreisen und kreisfreien Städten übertragen. Dabei muss die Sozialstation Leistungspunkte, abhängig von ihren erbrachten Leistungen, abrechnen. Pro Leistungspunkt werden 0,00285 Cent bezahlt.

Berücksichtigt man, dass von den entstehenden Kosten 85 % auf Personalkosten und nur 15 % auf sonstige Kosten zurückzuführen sind, wird deutlich, dass Einsparungen in größerem Umfang nur im Personalkostenbereich möglich sind.

Obwohl die Gehaltssteigerungen des öffentlichen Dienstes in den letzten Jahren aus Mitarbeitersicht eher kläglich ausfielen, sah es mit den Entgelterhöhungen der Kassen noch wesentlich schlechter aus, was die Ertragslage der Stationen weiter schwächte.

Bei einer solchen Ausgangslage ist der Ruf nach Senkung der Lohnkosten teilweise nachvollziehbar, wird allerdings von Arbeitgeberseite auch sehr schnell verknüpft mit der Forderung nach Absenkung der Gehälter. Immerhin wird durch die augenblicklich laufende Pflegekampagne das erste Mal auch deutlich nach außen getragen, dass qualitativ hochwertige Pflege notwendig ist und auch ihr Geld wert ist. Was wir bisher vermissen ist der harte kirchliche Verhandlungspartner, der dies auch an anderer Stelle deutlich machen kann.

Unsere Landeskirche unterstützt bisher finanziell Qualitätsmanagementprozesse, was wir begrüßen, was sie bisher außer acht läßt, sind Controllingprozesse, die unseres Erachtens unter Einbeziehung der MAV´en und der Mitarbeiterschaft dringend notwendig sind.

Für die Stationen ist es ein schwieriger Balanceakt, kostendeckend arbeiten zu müssen und dabei ihr diakonisches Profil aufrecht zu erhalten.

Ordnung zur Sicherung von Arbeitsplätzen im Bereich von Diakonie- und Sozialstationen

Die in der Arbeits- und Dienstrechtlichen Kommission (ADK) vertretenen Parteien haben im Rahmen der 49. Änderung der Dienstvertragsordnung (DVO) die Möglichkeit geschaffen, in Diakonie- und Sozialstationen von den tariflichen Bestimmungen negativ abzuweichen.

Dazu wurde in der Anlage 3 zur DVO die "Ordnung zur Sicherung von Arbeitsplätzen im Bereich von Diakonie- und Sozialstationen" geschaffen, die zum 01.07.2003 in Kraft getreten ist.

Vorstellung der in der ADK vertretenen Parteien war es, dass dadurch betriebsbedingte Kündigungen bei in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Stationen verhindert werden können.

Den MAV´en wächst bei dieser Sicherungsordnung eine wichtige Aufgabe zu. Sie kann nur angewendet werden im Rahmen einer Dienstvereinbarung gemäß § 37 MVG, die zwischen der MAV und der Dienststellenleitung abzuschließen ist.

Das heißt: Ohne MAV ist eine Absenkung tariflicher Standards nicht möglich. Eine sture Verweigerungshaltung ohne inhaltliche Auseinandersetzung könnte andererseits Mitarbeiter/innen ihre Arbeitsstellen kosten bzw. den Bestand der Station gefährden. Dies bedeutet eine besonders hohe Verantwortung für die Mav´en und ein nicht unerheblicher Druck, sich die entsprechenden Fachkompetenzen anzueignen.

Dienstvereinbarung

Eine Dienstvereinbarung darf nur abgeschlossen werden, wenn sie der Abwehr betriebsbedingter Kündigungen dient. Dies muss in einem geordneten Verfahren überprüft werden.

Des weiteren ist die Dienstvereinbarung zu befristen. Sie darf höchstens für 2 Jahre abgeschlossen werden. Sieht ein Konzept Möglichkeiten zur Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in einem kürzeren Zeitraum, dann muss auch eine kürzere Befristung erfolgen. Auch während der Laufzeit der Befristung ist kontinuierlich zu überprüfen, ob die Absenkungsmaßnahmen aufrechterhalten werden müssen.

Eine Verlängerung der Dienstvereinbarung nach Ablauf von 24 Monaten ist nicht im Sinne der Erfinder. Ist die wirtschaftliche Situation nach 2 Jahren immer noch desolat, dann spricht wenig dafür, dass das erarbeitete Konzept zur Konsolidierung der Station geeignet ist. Viel mehr könnten auf Dauer zu niedrig bezahlte Arbeitsplätze entstehen.

Voraussetzung für den Abschluss einer Dienstvereinbarung sind: Die wirtschaftliche Notlage der Station muss der MAV nachgewiesen werden. Dabei muss der MAV Einblick in alle notwendigen Unterlagen wie z. B. Gewinn- und Verlustrechnungen oder Jahresabschlüsse gewährt werden. Die MAV kann hier auf den Nachweis der wirtschaftlichen Notlage durch den zuständigen Rechnungsprüfer oder einen Wirtschaftsprüfer bestehen.

Voraussetzung für den Abschluss einer Dienstvereinbarung ist weiter, das die wirtschaftliche Notlage überwindbar erscheint und dafür ein Konzept erarbeitet wird. Des weiteren muss überprüft werden, ob aufgrund des Konzeptes nicht auf eine vorübergehende Personalkostenreduzierung verzichtet werden kann.

Letztlich muss ein gemeinsamer Ausschuss zur Überwindung der Notlage gebildet werden, der regelmäßig am Thema arbeitet.

Kündigungsschutz

Für die Dauer der Laufzeit sind betriebsbedingte Beendigungs- oder Änderungskündigungen unzulässig.

Anderes gilt nur, wenn dem Mitarbeiter im Rahmen der Anlage 9 "Ordnung zu Sicherung der Mitarbeiter bei Rationalisierungsmaßnahmen und Einschränkungen von Einrichtungen" ein gleichwertiger anderer Arbeitsplatz angeboten wurde und er diesen abgelehnt hat.

Abweichungsmöglichkeiten vom Tarifvertrag

  • Die Zuwendung (Weihnachtsgeld) kann abgesenkt werden.
  • Das Urlaubsgeld kann abgesenkt werden.
  • Die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann bei gleichzeitiger Kürzung der Vergütung gemindert werden.
  • Die Anwendung der Übergangsregelung für die Zahlung von Krankenbezügen gemäß § 71 BAT bei schon vor dem 01.07.1994 beschäftigten Mitarbeiter/innen kann ausgesetzt werden.
  • Der Zeitraum für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentliche Arbeitszeit kann auf bis zu einem Jahr ausgeweitet werden. Eigentlich sollte die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit planerisch im Rahmen der 4- oder 6-wöchigen Dienstplangestaltung erreicht werden. Der BAT sieht einen Zeitraum von 26 Wochen vor.

Einschränkungen der Absenkung

Alle tariflichen Absenkungen sind miteinander kombinierbar, sie dürfen zusammen allerdings nicht über eine Kürzung der jährlichen Bezüge in Höhe von 10 % hinausgehen. Alle Mitarbeiter/innen und Mitarbeitergruppen müssen gleich behandelt werden. Es können keine Vereinbarungen für einzelne Gruppen abgeschlossen werden, sondern nur für die Gesamtbelegschaft.

Was ist von MAV´en in diesem Rahmen zu erwarten?

Mitarbeitervertretungen, die ihre Aufgabe ernst nehmen, werden sich Fachkompetenz aneignen. Sie werden keine Entscheidungen treffen, bevor die Fachkompetenz nicht gesichert ist.

Die wirtschaftliche Lage muss untersucht werden. Alle Unterlagen sollten angefordert werden und man sollte sie sich von den entsprechenden Fachleuten erklären lassen. Ist auch der MAV eine wirtschaftliche Notlage einleuchtend, folgt daraus nicht zwingend der Abschluss einer Dienstvereinbarung.

Genauso wichtig ist die Analyse des Gesamtzustandes und der augenblicklichen Arbeitsweise der Station. Nützlich könnte hierzu mein Artikel auf der Homepage des Gesamtausschusses unter www.gamav.de sein.

Bedingt eine Notlage zwingend eine Absenkung?

Zuerst müssen erkennbare Fehler im Bereich der Personaleinsatzplanung umgehend abgestellt und defizitäre Verfahrensabläufe optimiert werden. Sind Mängel in der Führung der Sozialstation erkennbar, welche nicht angegangen werden, dann würde eine befristete Gehaltsabsenkung die Misswirtschaft nur für bis zu 2 Jahre verdecken, die Probleme aber nicht lösen. Zuerst müssen alle aktuell behebbaren Defizite im Rahmen der Arbeit der Station behoben werden, dann kann eine Dienstvereinbarung ein Thema sein.

Prioritätensetzung in einer Dienstvereinbarung

Erachtet auch die MAV eine Dienstvereinbarung für nötig, dann sollte in einem abgestuften Verfahren geprüft werden, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Dabei sollten mildere Maßnahmen gegenüber härteren Eingriffen den Vorrang haben.

Ein abgestuftes Prüfungsverfahren könnte die Maßnahmen in folgender Reihenfolge abarbeiten:

  1. Ausweitung des Zeitraums für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu ein Jahr.
  2. Nichtanwendung der Übergangsregelung für die Zahlung von Krankenbezügen.
  3. Minderung der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit bei gleichzeitiger Kürzung der Vergütung.
  4. Absenkung des Urlaubsgeldes.
  5. Absenkung der Zuwendung.

Nur wenn die wirtschaftliche Notlage nachweisbar ist, ein Konsolidierungskonzept besteht und anders betriebsbedingte Kündigungen nicht zu verhindern sind, darf eine vorübergehende Tarifabsenkung ein Thema sein.

Siegfried Wulf

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