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Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretungen

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Interview mit Rechtsanwalt Baumann-Czichon zur Frage des Mitbestimmungsrechts bei der Festlegung der Entgeltstufe

Das Landeskirchenamt der hannoverschen Landeskirche bestreitet, dass die Festlegung der Entgeltstufe bei Neueinstellungen der Mitbestimmung durch die Mitarbeitervertretungen unterliegt. Sie beruft sich dabei auf ein Urteil des Kirchengerichtshofs der EKD vom 14.01.2008, obwohl es inzwischen ein neueres Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.08.2008 gibt, welches feststellt, dass die Stufenzuordnung nach dem TV-L mitbestimmungspflichtig ist. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht Baumann-Czichon hat sich in einem Interview zu dieser Fragestellung gegenüber dem Gesamtausschuss geäußert. Außerdem findet ihr im Anschluss Verknüpfungen zu den entsprechenden Urteilen.

Mitbestimmung der Mitarbeitervertretung bei der Stufenzuordnung nach § 16 TV-L

Interview mit dem Chefredakteur der Zeitschrift "Arbeitsrecht und Kirche", Fachanwalt für Arbeitsrecht Bernhard Baumann-Czichon aus Bremen

Die Fragen stellte der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtausschusses der Mitarbeitervertretungen Werner Massow aus Göttingen

Gesamtausschuss: Bernhard, das Mitarbeiterbüro der Landeskirche Hannovers bestreitet das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretungen bei der Stufenzuordnungen nach § 16 TV-L. Es hat diesen Standpunkt auch nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.08.2008 (BVerwG P 11.07 VG 10 A 1/07) noch einmal bekräftigt, obwohl das BVerwG das Mitbestimmungsrecht einer Personalvertretung ausdrücklich bejahte. Das Mitarbeiterbüro begründete seine Rechtsauffassung mit dem abschlägigen Urteil des Kirchengerichtshofs der EKD vom 14.01.2008 (I-0124/N33-07), das allein für den Kirchenbereich einschlägig sei. Dies gelte nicht für die Entscheidungen staatlicher Verwaltungsgerichte. Wie beurteilst Du diese unterschiedlichen Entscheidungen bei vergleichbaren Mitbestimmungsregelungen im staatlichen und im kirchlichen Bereich.

Bernhard Baumann-Czichon : Für Mitbestimmungsfragen sind drei unterschiedliche Rechtswege gegeben: Fragen aus der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes werden vom Bundesarbeitsgericht, aus der Anwendung der Personalvertretungsgesetzes vom Bundesverwaltungsgericht und aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes vom Kirchengerichtshof entschieden. Das führt immer wieder zu unterschiedlichen Auslegungen. Manchmal gibt es dafür einsichtige Gründe, z.B. wenn der Kirchengerichtshof kirchlich-diakonischen Einrichtungen ersetzende Leiharbeit zu Dumpinglöhnen verbietet. Wenn aber ein gleicher Sachverhalt ohne erkennbaren Grund unterschiedlich beurteilt wird, dann ist dass für die Betroffenen schwer nachvollziehbar. Ich gehe davon aus, dass der Kirchengerichtshof seine Entscheidung auch an dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts überprüfen wird. Eine Änderung seiner Rechtsprechung ist durchaus vorstellbar, zumal die zitierte Entscheidung zum Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD ergangen ist. Dem gegenüber weist das MVG-K Besonderheiten auf, die zu einer anderen Beurteilung führen können. Die Entscheidung des Kirchengerichtshofs greift nach meiner Auffassung zu kurz, weil es den Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts bei Eingruppierungen zu eng gesehen hat. Gerade das Selbstverständnis der Kirche gebietet es, dem Arbeitnehmer bei der Stufenzuordnung den Schutz der Mitarbeitervertretung zu gewähren.

GESAMTAUSSCHUSS: Aus Deinen Ausführungen können wir Hoffnung schöpfen. Allerdings hat noch am 09.12.2008 das Bundesverfassungsgericht beschlossen, das die Überprüfung innerkirchlicher Rechtsakte der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen sind (2 BvR 717/08). Wie weit greift das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und inwieweit hat der staatliche Schutz gegen willkürliche Behandlung von Arbeitnehmern Vorrang?

Bernhard Baumann-Czichon : Dem Arbeitgeber steht bei der Stufenzuordnung ein Ermessen zu. Und Ermessen kann immer willkürlich ausgeübt werden. Zwar kann der einzelne Arbeitnehmer die Ermessensausübung durch das Arbeitsgericht überprüfen lassen. Das hilft in der Regel nicht weiter, denn das Arbeitsgericht hat nur ein eingeschränktes Prüfungsrecht. Nur die schlimmsten Auswüchse lassen sich damit wirksam angreifen. Die Entscheidung des Kirchengerichtshofs führt deshalb in einer für die Arbeitnehmer wichtigen Frage zu Kontrollverlust. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kann den Kirchen und dem Kirchengerichtshof jedoch nicht übergestülpt werden. Aber der Kirchengerichtshof wird darauf achten (müssen), dass er den Beteiligungsstandard der Mitarbeitervertretung nicht wesentlich unter den des Betriebsrates absinken lässt. Die Kirchen legitimieren ihre Befreiung von der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes durch die sog. praktische Konkordanz. Das bedeutet, dass die Kirchen die betriebliche Interessenvertretung zwar selbst regeln, dabei aber das Niveau des staatlichen Rechts im Blick haben müssen. Über kurz oder lang wird es deshalb zu einer Vereinheitlichung kommen.

GESAMTAUSSCHUSS: Du hast darauf hingewiesen, dass auf Dauer eine unterschiedliche Auslegung des Rechts durch die innerkirchliche und die staatliche Gerichtsbarkeit nicht zu erwarten ist. Heißt das, dass Du den Mitarbeitervertretungen empfiehlst in dieser Frage weiter die Auseinandersetzung zu suchen?

Bernhard Baumann-Czichon : Wenn es nicht immer wieder Menschen geben würde, die eine gefestigte Rechtsprechung mit neuen Verfahren angreifen, dann gäbe es keine Entwicklung in der Rechtsprechung. Unser Rechtssystem lebt davon, dass Rechtsmeinungen immer wieder in Frage gestellt werden. Wichtig ist aber, dass man eine Konstellation wählt, die auch Anlass bietet, die bisherige Rechtsauffassung zu überdenken. Einen solchen Anlass sehe ich in dem sich aus dem MVG-K ergebenden Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung von Grundsätzen der betrieblichen Lohngestaltung. Die Stufenzuordnung wird ein Arbeitgeber nicht "auswürfeln". Er wird vielmehr Kriterien dafür entwickeln. Und das können dann Grundsätze der betrieblichen Lohngestaltung sein. Diese Erweiterung des Mitbestimmungsrechts zwingt nach meiner Auffassung auch dazu, die Reichweite des Mitbestimmungsrechts bei Eingruppierungen zu überprüfen und auf die Stufenzuordnung zu erweitern. Es bestehen deshalb realistische Chancen, dass die Schiedsstelle das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung auch auf die Stufenzuordnung erweitert.

GESAMTAUSSCHUSS: Wir wissen von einer Mitarbeitervertretung, die bei allen Eingruppierungsangelegenheiten wegen der fehlenden Zustimmung die mündliche Erörterung beantragt. Die Arbeitgeber versuchen aber die Angelegenheit "auszusitzen", indem sie keine Termine vereinbaren. Hast Du hier auch eine Empfehlung?

Bernhard Baumann-Czichon : Jeder Mitarbeiter ist eingruppiert. Wir sprechen von der sog. Eingruppierungsautomatik. Der Arbeitgeber hat lediglich mitzuteilen, welche Eingruppierung er für richtig hält. Das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung bei Eingruppierungen reduziert sich deshalb auf eine Richtigkeitskontrolle. Deshalb "passiert" in der Dienststelle zunächst nichts, wenn der Arbeitgeber nicht die von der MAV verweigerte Zustimmung durch die Schiedsstelle ersetzen lässt. Gleichwohl ist der Arbeitgeber verpflichtet, eine kirchengerichtliche (Schiedsstelle) Entscheidung herbeizuführen. Unterlässt er dies, verletzt er die Rechte der Mitarbeitervertretung, was diese in einem Verfahren vor der Schiedsstelle feststellen lassen kann. Eine solche Pflichtverletzung kann auch darin liegen, dass das eingeleitete Mitbestimmungsverfahren nicht - zügig - fortgesetzt wird. Wenn sich eine Dienststellenleitung rechtswidrig verhält, bleibt nur der Weg zum Kirchengericht.

GESAMTAUSSCHUSS: Wenn es also neue Schiedsstellenentscheidungen geben könnte, die sich in Richtung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht orientieren, werden die betroffenen Arbeitgeber möglicherweise wieder den Kirchengerichtshof anrufen. Siehst Du die Chance auf eine neue und andere Kirchengerichtshofsentscheidung, die auch die kirchlichen Beschäftigten in der Frage der Zuordnung der Entgeltstufe vor einer willkürlichen Arbeitgeberentscheidung ohne Mitbestimmungsverfahren schützt?

Bernhard Baumann-Czichon : Der Kirchengerichtshof wird seine Rechtsprechung überprüfen müssen. Er wird dabei auch die Besonderheiten des niedersächsischen MVG berücksichtigen müssen. Und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist überzeugend begründet. Da keinerlei kirchlichen Besonderheiten erkennbar sind, die es nahe legen, von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abzuweichen, steht der Kirchengerichtshof schon unter Druck. Ich halte es deshalb für vorstellbar, dass der Kirchengerichtshof seine Rechtsprechung weiter entwickelt - so wie er dies bei dem Mitbestimmungsrecht bei Einstellungen auch getan hat.

Wir danken Dir für dieses Interview und werden es im Bereich der Konföderation evangelischer Kirchen bei den Beschäftigten bekannt machen.

Rechtshofurteil vom 14.01.2008

Verwaltungsgerichtsurteil vom 27.08.2008

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